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"Berliner Extradienst" vom 02.08.1974 (Nr. 62/VIII) Seite 11/12
SPD

DIE MITGLIEDER UND DAS „ANREGUNGSRECHT" FÜR NICHTMITGLIEDER
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Wenn man der „Frankfurter Rundschau" glauben darf, soll für die SPD der achtziger Jahre ein neuer Rechtskurs mit Hilfe von "einigen Tausend Fachleuten, die nicht der SPD angehören" durch das Parteipräsidium eingeleitet werden. Die SPD wird nach diesem Bericht (,,SPD wünscht Anregung von Experten", ) bei der Erarbeitung des neuen Entwurfs ihres „Langzeitprogramms" (Orientierungsrahmen '85) auch Nicht-Parteimitglieder beteiligen. Diesen „einigen  Tausend Experten" soll nach Angaben Willy Brandts ein „Anregungsrecht" für die weitere Arbeit am Langzeitprogramm ein-geräumt werden. Ein neu zu gründendes Büro beim Parteivorstand soll „neben" Anträgen aus der Basis der Partei auch die Vorschläge der Experten für eine Neufassung des Programms berücksichtigen.

Bei der strikten Abgrenzung der Partei durch ihre Führung nach links liegt es auf der Hand, daß diese Experten eher aus der rechten als aus der linken Ecke kommen sollen. Schel- sky wird leichter als Abendroth Gehör fin den.

Die Linie scheint klar zu sein: Rechtsliberale und konservative, auf jeden Fall aber rechts von der SPD stehende Soziologen sollen der mit ihren Staatsgeschäften überlasteten rech- ten Führungsspitze der Partei Formulierungs hilfe bei der Prinzipienerstellung leisten — eine groteske Vorstellung für eine Partei, die eine theoretische Ahnenreihe von Marx, En gels, Lassalle, Bebel, Liebknecht, Luxem burg, Kautsky bis Schumacher aufzuweisen hat. Den „Systemerhaltern" in der SPD liegt aber alles daran, dem von „linken" Programmatikern (wie Oertzen) und „lin ken" Gliederungen (wie Jungsozialisten oder AfA) nur im Sinne von Arbeitnehmerinte- fessen beeinflußten Programm einen„rech- ten" (das heißt auch die Kapitalinteressen berücksichtigenden) Anstrich zu geben.

Von Helmut Schmidt kann man getrost annehmen, dass er den Anregungen der „Experten" mehr Ge-wicht beimessen wird als den Anträgen der sozial-demokratischen Organisationsgliederungen. Nimmt er doch Parteitagsbeschlüsse nicht so ernst wie das Grundgesetz und hält er Parteitagsbeschlüsse doch nicht immer für weise.

Die Partei wird sich freilich dafür interessieren, wie es möglich sein soll , an der Formulierung eines Parteiprogramms auch Nichtmitgliedcr zu beteiligen. Einer SPD/FDP-Koalition hätte es sicher gut angestanden, wenn sie bei der Formulierung eines Regierungsprogramms, das ja für alle Bürger von Bedeutung ist, auch Nicht-Parteimitglieder, etwa die die Koalition im Wahlkampf unterstützenden Bürgerinitiativen, beteiligt hätte. Mit einem Parteiprogramm kann dies freilich nicht angehen. Alle Liberalität in Ehren: Auch eine Volkspartei wie die SPD kann von Kräften, die sich ihr angeblich verbunden oder von der Parteispitze mit der Partei verbunden werden sollen, verlangen, daß sie in die Partei eintreten und die ihnen laut Parteiengesetz und Parteistatut zustehenden Mitwirkungsrechte dort geltend machen. Wie der Parteivorsitzende seine neue Idee daher den Mitgliedern schmackhaft machen will, bleibt abzuwarten. Billigt er doch Nichtmitgliedern, die weder finanzielle noch andere Leistungen erbringen, ein ,.Anregungsrecht" zu, das der Parteivor-stand erst kürzlich den Arbeitsgemeinschaften der Partei in einem Beschluß bestritten hat. Denn die Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten, alle Mitglieder der Partei bis 35, besitzt in ihrer Ge samtheit formal nicht das Recht, das nun „einigen Tausend" Nichtmitgliedern zugestanden werden soll.

Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, wie sparsam die Parteispitze sich bei der Befriedigung des Mitwirkungsrechtes und Informationsbedürfnisses ihrer eigenen Mitglieder gebärdet. 1971 etwa sollte das Antragsrecht für die Ortsvereine an den Bundes-parteitag wegfallen und konnte lediglich dank eines starken Drucks von der Basis erhalten bleiben. Erinnert werden sollte auch an den letzten Bundesparteitag 1973 in Hannover, als der Antrag eines Bezirks abgelehnt wurde, nach dem der Parteivorstand verpflichtet werden sollte, jedem Mitglied die Anträge des Bundesparteitages kostenlos zukommen zu lassen, wenn dies ausdrücklich gewünscht wird. Die Ablehnungsbegründung: „Die Forderung ist aus Kostengründen nicht realisierbar". Angeblich auch aus Kostengründen werden schon seit Jahren die abgelehntcn oder für „erledigt" angesehenen Anträge im Protokoll des Parteitags nicht mehr ausgedruckt. Minderheitsmeinungen verschwinden so, als habe es sie nie gegeben, aus der Parteigeschichte. Keine Kosten aber werden gespart, wenn jetzt „einige Tausend" Nichtmitglieder den 70 seitigen Entwurf des . Langzeitprogramms, verbunden mit einem „Anregungsrecht", kostenlos zugeschickt bekommen. Für ein rechtes Image ist der rechten Parteiführung nichts zu teuer.