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"Berliner Extradienst" vom 19.07.1974 (Nr.58/VIII)
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Wenn man sich den Beschluß des SPD-Parteivorstandes über die Stellung der Arbeitsgemeinschaften in der Partei oberflächlich ansieht, könnte man der Meinung der Juso-Spitze beipflichten: Es hat sich nichts geändert, zumindest formal nicht, oder genauer gesagt : .Jetzt noch nicht.
Der Beschluß des Parteivorstandes (PV) war nämlich keine rechtskräftige Entscheidung, sondern nur eine Stellungnahme zu einem Antrag des SPD-Bezirks Franken, der bei der Bundesschiedskommission der Partei Ende April dieses Jahres ein Statutenverfahren anhängig gemacht hat. Der Parteirat hat in seiner Sitzung am 29.6.1974 auch nicht von seinem Anhörungsrecht gem. § 30, Abs. l des Organisationsstatuts der SPD Gebrauch gemacht, sondern die Stellungnahme des PV lediglich zur Kenntnis genommen.
Die Tatsache, daß der PV der Bundesschiedskommission in einer Angelegenheit, über die er laut § 10 des 0rganisationsstatus selbst hätte endgültig entscheiden können, nur Empfehlungen gibt, scheint eine Konzession an die linken Vorstandsmitglieder zu sein. Wenn man allerdings Abschnitt III, Ziffer 4 dieser "Empfehlung" liest, werden die Tendenzen deutlich. Hier heißt es:
Jeder Vorstand der Partei hat hinsichtlich der Arbeitsgemeinschaften in seinem Bereich das Recht, eine ausserordentliche Mitglieder- oder Delegiertenversammlung der Arbeitsgemeinschaft einzuberufen und in dieser Versammlung Anträge zu stellen und zu begründen. Dazu gehört auch das Recht, die Abberufung von Funktionären der Arbeitsgemeinschaft nach § 9 der Wahlordnung zu beantragen.
Die Entscheidung hierüber liegt aber allein in der Versammlung der Arbeitsgemeinschaften.Dem Vorstand ist selbstverständlich das Recht unbenommen, gegen einen in einem solchen Fall bestätigten Arbeitsgemeinschaftsfunktionär ein Parteiordnungsverfahren zu beantragen oder sogar eine Sofortmaßnahme nach § l8 der Schiedsordnung über den zuständigen Bezirksvorstand zu erwirken."
Das heißt, daß z. B. eine unliebsame Juso-AG zunächst zur Abwahl ihres Vorstandes mit Hinzuziehung von Karleileichen" gezwungen, und - wenn sie diesem Druck nicht erliegt - ihres Vorstandes durch Solortmaßnahmen (= Ruhen der Rechte aus der Mitgliedschaft nach § l 8. Abs. l der Schiedsordnung) mit Hilfe des Bezirksvorstandes oder schließlich des Bundesvorstandes beraubt werden kann. Dieses Verfahren stellt wirklich eine verfeinerte Disziplinarmaßnahme mit zeitweiliger "demokratischer Zwischenprobe" dar.
Wie ist dieser an und für sich parteinterne Vorgang politisch zu bewerten?
Es drängt sich der Vergleich mit dem "Radikalenerlaß " auf : Wie damals Bundeskanzler und Minsterpräsidenten auf Aregung des SPD-Rechten Ruhnau haben hier die Parteivorstandsmitglieder eine einstimmig gefaßte Verlautbarung der Öffentlichkeit bekannt gegeben, die zwar den augenblicklichen Rechtszustand nicht antastet, aber zum Druckmittel gegen Linke angewendet werden kann.
Konnte der Minsterpräsidentenerlaß zur "Linkenhatz im .staatlichen Bereich außerhalb der Partei angewendet werden, so kann der PV-Beschluß das gleiche Ziel innerhalb der Partei initiieren, indem er örtlichen und regionalen Vorständen der SPD die Möglichkeit eröffnet, zu versuchen, ganze linke Gruppen, insbesondere Jungsozialisten ( aber auch linke ASF- und AfA-Vorstände), mundtot zu machen oder sie zumindest unter Druck zu setzen. Ähnliche, allerdings noch sehr massivere Versuche der Parteirechten, oppositionelle Kräfte innerhalb der Partei auszuschalten, hat es auf dem Nürnberger Parteitag 1968 gegeben, als man im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgehung im staatlichen Bereich eine Notstandsregelung zur Abwehr der sich in die Partei drängende APO in das Organisationstatut der SPD einbauen wollte. Die Disziplinierung richtetc sich damals gegen oppositionelle 0rganisationsgliederungen. Bei beharrlichen Verstößen von Organisationsgliederungen gegen Parteibcschlüssc sollten "sowohl der zuständige Bezirksvorstand als auch der Parteivorstand den Vorstand der Parteigliederung seines Amtes entheben und an dessen Stelle einen kommissarisehen Vorstand bestellen" können. Dieser kommissarische Vorstand sollte weisungsgebunden sein. Das Recht der Mitglieder auf Willensbildung in den Organen" sollte er ganz oder teilweise außer Kraft setzen" können.
Dieser Versuch war damals gescheitert. Unter den Delegierten des Nürnberger Parteitages wurde gemunkelt, diese für das Statut der SPD vorgesehene Passage sei wörtlich dem Statut der NSDAP aus dem Jahre 1932 entnommen. Mit ihrer Hilfe habe man seiner Zeit den "linken Strasser- Flügel" der Nazis ausgeschaltet.
Näheres darüber kann man einer Nummer der von linken Sozialdemokraten herausgegebenen Zeitschrift "express international" (Jahrgang V, Nr.54/55 vom 02.03.1968) entnehmen, in der profilierte Sozialdemokraten des linken Flügels wie Peter von Oertzen, Wilhelm Dröscher, Jochen Steffen, Walter Möller (+) und Olaf Radke (+) Beitrage geliefert hatten. Die Titelseite dieser Zeitschrift, die übrigens auf dem Parteitag beschlagnahmt wurde (siehe die Ausführungen von Olaf Radke, Protokoll des SPD-Parteitags 1968, Seite 572), hatte wesentlich zur Verhinderung des Inkrafttretens dieser unmöglichen Vorschriften beigetragen.
Es bleibt zu hoffen, daß der linke Flügel zusammen mit der
Mitte der Partei die Ziele der Parteirechten erkennt, die zwar
Solidarität von unten nach oben immer fordert, sich selbst aber
gegenüber einem mündigen Parteivolk nie solidarisch gezeigt hat.