Weltagrarbericht

 „Mit dem Bericht wird der Mythos von ‚wachse oder weiche‘ radikal durchbrochen“

Benedikt Haerlin hat als NGO-Vertreter vier Jahre lang den Weltagrarbericht begleitet

http://www.inkota.de/aktuelles/detailansicht/vom/09/september/2009/aktionszeitung-zur-bundestagswahl/

 

Die deutsche Bundesregierung hat am Weltagrarbericht weder mitgearbeitet noch das Ergebnis unterschrieben. Warum?

 

Es gab einen zuständigen Referatsleiter im Entwicklungsministerium, der den Bericht nicht als wichtig empfunden hat und Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul nicht ausreichend informierte. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung auch keine Wissenschaftler in das Gremium geschickt. Eine Unterzeichnung des Berichts ist allerdings am Landwirtschaftsministerium gescheitert. Dort gibt es derzeit starke Kräfte, denen das Ergebnis des Weltagrarberichts überhaupt nicht passt.

 

Die USA, Kanada und Australien waren an der Erstellung des Berichts beteiligt. Sie haben allerdings auch nicht unterschrieben ...

 

Die Regierungen dieser Länder – bei den USA war es noch die damalige Bush-Regierung – haben zu Protokoll gegeben, dass ihnen der Bericht zu kritisch in Bezug auf Handelsfragen, die industrielle Landwirtschaft und den Einsatz der Gentechnik ist.

 

Was sind denn die Kernaussagen des Weltagrarberichts?

 

Mit dem Weltagrarbericht wird der Mythos von „wachse oder weiche“ als einzige Perspektive für die Landwirtschaft radikal durchbrochen. Die Verfasser betonen, dass es im 21. Jahrhundert auf die Kleinbauern und die Vielfalt in der Landwirtschaft ankommt. Zudem wird die Multifunktionalität der Landwirtschaft hervorgehoben.

Landwirtschaft produziert nicht nur Lebensmittel. Sie bewirtschaftet 60 Prozent der Landfläche dieses Planeten und ist entsprechend wichtig für die Umwelt; aber auch für unseren sozialen Zusammenhang, für Traditionen und Ernährungskulturen. Darüber hinaus führt der Bericht den Begriff der Ernährungssouveränität ein.

 

Sie haben als NGO-Vertreter den Entstehungsprozess des Weltagrarberichts begleitet. Wie haben Sie die Kommunikation zwischen den über 500 Wissenschaftler aus 86 Ländern wahrgenommen?

 

Die Wissenschaftler haben sich mehrmals persönlich getroffen und ansonsten über eine gemeinsame Internetseite zusammengearbeitet. Es hat dort sehr lebhafte Debatten und Diskussion gegeben, denn es haben ja Wissenschaftler aus allen Disziplinen miteinander gearbeitet: Biologen, Ökologen, Agrarökonomen, Sozialwissenschaftler. Der ganze Prozess hat vier Jahre gedauert.

 

Wie geht es mit dem Bericht weiter?

 

Leider gibt es kein koordinierendes Sekretariat mehr. Die Weltbank selbst, die den Bericht initiiert hatte, war mit dem Ergebnis nicht wirklich glücklich. Sie vertritt eine sehr viel technologiegläubigere und industriefreundlichere Politik. Deshalb versucht die Weltbank den Bericht im Moment eher totzuschweigen. Aber es hat ja auch zehn Jahre gedauert, bis der erste Weltklimabericht politisch ernst genommen wurde.

 

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

 

Sie sollte den Prozess fortführen, auch finanziell und vor allem die neue EU-Agrarpolitik 2013 an den Erkenntnissen des Berichtes ausrichten. Da geht es um praktische Maßnahmen wie die Abschaffung der Exportsubventionen, der Abschied von Fleisch- und Agrarsprit-Subventionen und konsequenten Klimaschutz in der Landwirtschaft. Außerdem sollte sie ihre bisherige Entwicklungspolitik grundsätzlich überdenken.

 

Das Interview führte Evelyn Bahn vom INKOTA-netzwerk.

Weltagrarbericht

 

Offizieller Name: IAASTD – International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development

 

Initiatoren: Weltbank und UNO

 

Teilnehmer: über 500 WissenschaftlerInnen aus 86 Ländern

 

Kernaussage: Business as usually is not an option! Ein Paradigmenwechsel ist nötig. Nur eine radikale Wende in der Agrarpolitik und bei der Agrarforschung – hin zu kleinbäuerlichen Strukturen, angepassten Technologien und gerechter Land- und Ressourcenverteilung – kann die Ernährung der Weltbevölkerung sichern, ohne die ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft zu zerstören.

 

Anzahl der unterzeichneten Länder: 58 (davon 10 europäische Länder: Finnland, Frankreich, Irland, Moldawien, Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Türkei und Großbritannien)

 

Länder, die vor Abschluss ausgestiegen sind: Australien, Kanada und die USA

 

Agrarkonzerne, die vor Abschluss ausgestiegen sind:

Monsanto, Syngentha, Crop Life (Internationaler Verband der Agrarchemieunternehmen, u. a. mit den deutschen Konzernen Bayer und BASF)

 

Dauer der Ausarbeitung: vier Jahre

 

Datum der Verabschiedung: 15. April 2008

 

Seitenanzahl Global Report: 590 Seiten

 

www.weltagrarbericht.de