Weltagrarbericht
„Mit dem Bericht wird der Mythos
von ‚wachse oder weiche‘ radikal durchbrochen“
Benedikt Haerlin hat als
NGO-Vertreter vier Jahre lang den Weltagrarbericht begleitet
Die deutsche Bundesregierung hat am Weltagrarbericht weder mitgearbeitet
noch das Ergebnis unterschrieben. Warum?
Es gab einen zuständigen
Referatsleiter im Entwicklungsministerium, der den Bericht nicht als wichtig
empfunden hat und Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul nicht ausreichend
informierte. Aus
diesem Grund hat die Bundesregierung auch keine Wissenschaftler in das Gremium
geschickt. Eine Unterzeichnung des Berichts ist allerdings am
Landwirtschaftsministerium gescheitert. Dort gibt es derzeit starke Kräfte,
denen das Ergebnis des Weltagrarberichts überhaupt nicht passt.
Die USA, Kanada und Australien waren an der Erstellung des Berichts
beteiligt. Sie haben allerdings auch nicht unterschrieben ...
Die Regierungen dieser Länder – bei
den USA war es noch die damalige Bush-Regierung – haben zu Protokoll gegeben, dass
ihnen der Bericht zu kritisch in Bezug auf Handelsfragen, die industrielle
Landwirtschaft und den Einsatz der Gentechnik ist.
Was sind denn die Kernaussagen des Weltagrarberichts?
Mit dem Weltagrarbericht wird der
Mythos von „wachse oder weiche“ als einzige Perspektive für die Landwirtschaft
radikal durchbrochen. Die Verfasser betonen, dass es im 21. Jahrhundert auf die
Kleinbauern und die Vielfalt in der Landwirtschaft ankommt. Zudem wird die
Multifunktionalität der Landwirtschaft hervorgehoben.
Landwirtschaft produziert nicht nur
Lebensmittel. Sie bewirtschaftet 60 Prozent der Landfläche dieses Planeten und
ist entsprechend wichtig für die Umwelt; aber auch für unseren sozialen
Zusammenhang, für Traditionen und Ernährungskulturen. Darüber hinaus führt der
Bericht den Begriff der Ernährungssouveränität ein.
Sie haben als NGO-Vertreter den Entstehungsprozess des Weltagrarberichts
begleitet. Wie haben Sie die Kommunikation zwischen den über 500
Wissenschaftler aus 86 Ländern wahrgenommen?
Die Wissenschaftler haben sich
mehrmals persönlich getroffen und ansonsten über eine gemeinsame Internetseite
zusammengearbeitet. Es hat dort sehr lebhafte Debatten und Diskussion gegeben,
denn es haben ja Wissenschaftler aus allen Disziplinen miteinander gearbeitet:
Biologen, Ökologen, Agrarökonomen, Sozialwissenschaftler. Der ganze Prozess hat
vier Jahre gedauert.
Wie geht es mit dem Bericht weiter?
Leider gibt es kein koordinierendes
Sekretariat mehr. Die Weltbank selbst, die den Bericht initiiert hatte, war
mit dem Ergebnis nicht wirklich glücklich. Sie vertritt eine sehr viel
technologiegläubigere und industriefreundlichere Politik. Deshalb versucht
die Weltbank den Bericht im Moment eher totzuschweigen. Aber es hat ja auch
zehn Jahre gedauert, bis der erste Weltklimabericht politisch ernst genommen
wurde.
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Sie sollte den Prozess fortführen,
auch finanziell und vor allem die neue EU-Agrarpolitik 2013 an den
Erkenntnissen des Berichtes ausrichten. Da geht es um praktische Maßnahmen wie
die Abschaffung der Exportsubventionen, der Abschied von Fleisch- und
Agrarsprit-Subventionen und konsequenten Klimaschutz in der Landwirtschaft.
Außerdem sollte sie ihre bisherige Entwicklungspolitik grundsätzlich
überdenken.
Das Interview führte Evelyn Bahn vom
INKOTA-netzwerk.
Weltagrarbericht
Offizieller
Name: IAASTD – International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and
Technology for Development
Initiatoren: Weltbank und UNO
Teilnehmer: über 500
WissenschaftlerInnen aus 86 Ländern
Kernaussage:
Business as usually is not an option!
Ein Paradigmenwechsel
ist nötig. Nur eine radikale Wende in der Agrarpolitik und bei der
Agrarforschung – hin zu kleinbäuerlichen Strukturen, angepassten Technologien
und gerechter Land- und Ressourcenverteilung – kann die Ernährung der
Weltbevölkerung sichern, ohne die ökologischen Grundlagen der
Landwirtschaft zu zerstören.
Anzahl der unterzeichneten Länder: 58 (davon 10 europäische Länder: Finnland,
Frankreich, Irland, Moldawien, Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Türkei und
Großbritannien)
Länder, die vor Abschluss ausgestiegen sind: Australien, Kanada und die USA
Agrarkonzerne, die vor Abschluss ausgestiegen sind:
Monsanto, Syngentha, Crop Life (Internationaler Verband der
Agrarchemieunternehmen, u. a. mit den deutschen Konzernen Bayer und BASF)
Dauer der Ausarbeitung: vier Jahre
Datum der Verabschiedung: 15. April 2008
Seitenanzahl Global Report: 590
Seiten